„Klassenzimmer unter Segeln“Ein halbes Jahr auf hoher See

„Grenzen? Ich habe noch nie eine gesehen. Aber ich habe gehört, dass sie in den Köpfen einiger Leute existieren.“

Dieses Zitat von Thor Heyerdahl, dem Namensgeber unseres Schiffes STS Thor Heyerdahl, spiegelt unsere Eindrücke und Erfahrungen des halben Jahres mit dem Projekt „Klassenzimmer unter Segeln (KUS)“ gut wider. Grenzen zwischen Ländern und Kulturen, die auf Karten so deutlich sichtbar sind, passierten wir auf See unbemerkt. Unsere Reise, veranstaltet von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, ließ uns die Abenteuer der großen Entdecker wie Kolumbus oder Thor Heyerdahl nacherleben. An Bord waren 34 Schülerinnen und Schüler der 10. Klassen aus deutschen Gymnasien und eine 15-köpfige Crew. Nachdem wir Schülerinnen und Schüler uns in Online-Auswahlgesprächen bereits etwas kenngelernt hatten, trafen wir das erste Mal im Oktober 2021 persönlich aufeinander. Während der einwöchigen Werftzeit bereiteten wir das Schiff für die lange Reise vor und erlebten unsere ersten gemeinsamen Tage in real life. Und ehe wir uns versahen, brachen wir auch schon unter den Augen der uns zuwinkenden Familien und Freunde auf in sechseinhalb Monate voller Abenteuer.

Der Start verlief etwas holprig, da uns Sturmwarnungen und Böen mit Orkanstärke zwangen, für drei Tage im Hafen von Borkum anzulegen. Danach konnten wir endlich Fahrt aufnehmen durch den Englischen Kanal über Brixham und Portsmouth mit Kurs in Richtung der Kanarischen Inseln.

Die stürmische See der Biskaya ließ fast alle seekrank werden, so dass es schon eine Herausforderung war, den arbeitsreichen Alltag an Bord zu meistern. Zum Glück hatten wir uns bereits an die täglichen Aufgaben gewöhnt und die Routine half uns sehr. Wir gingen in unterschiedlichen Schichten pro Tag sechs Stunden zur eingeteilten Zeit Wache und steuerten da beispielsweise das Schiff oder arbeiteten an den Segeln. Auch das tägliche Reinschiff (= Putzen verschiedener Bereiche auf dem Schiff) gehörte zum Alltag dazu. Außerdem hatte jeder einmal in der Woche „Backschaft“, d. h. in einem vierköpfigen Team einen Tag lang möglichst leckere Mahlzeiten (Frühstück, Mittagessen, Kaffee und Abendessen) für die gesamte Crew kochen. Neben dem normalen Schulunterricht, der jeden zweiten Tag stattfand, erlernten wir auch nautische Kenntnisse, die wir im Laufe der Reise noch genügend auf die Probe stellen konnten. Uns wurde aber auch in Form von Praktika die Möglichkeit gegeben, in die unterschiedlichen Bereiche an Bord reinzuschnuppern und den Maschinisten, die Proviantmeisterinnen oder den Bootsmann bei ihrer Arbeit zu begleiten. Der größte Unterschied zum Unterricht zuhause war wohl, dass er viel situationsbezogener war: Fliegende Fische, die auf dem Deck landeten, wurden direkt im Biologieunterricht an Bord untersucht und einen Test in Erdkunde über Vulkanismus haben wir mitten in der Caldera eines früheren Vulkans geschrieben. Auf der Überfahrt zu portugiesisch- bzw. spanisch-sprechenden Ländern, hatten wir zudem noch Portugiesisch- bzw. Spanisch-Unterricht, um an Land überhaupt eine Chance zu haben, uns mit den Einheimischen zu verständigen.

Vulkanausbruch La Palma
© Johannes SchedlbauerVulkanausbruch La Palma

Nach circa einem Monat auf sehr bewegter See erreichten wir La Palma, eine Insel der Kanaren westlich von Teneriffa. An Land zeugten die dicke Ascheschicht und der orange und rot leuchtende Abendhimmel vom aktiven Vulkan „Cumbre Vieja“. Es war ein gigantisches, gleichzeitig aber auch sehr beängstigendes Farbspektakel.

Bei aller beeindruckenden Schönheit des Naturschauspiels waren unsere Gedanken aber auch bei den Menschen, deren Leben und Existenz durch diesen Ausbruch bedroht wurden und die noch lange mit den Folgen zu kämpfen haben würden.

Nach einem längeren Landaufenthalt auf La Gomera, wo wir eine Woche lang auf einer Finca gewohnt und gearbeitet haben, segelten wir anschließend nach Sao Vicente, einer Insel der Kap Verde. Hier bekamen wir völlig neue Eindrücke: Hunderte Straßenhunde streunten durch die Stadt. Wir erlebten buntes Treiben, Lärm und Geschäftigkeit auf dem Fischmarkt, weiße Sandstrände und türkisblaues Meer.

Mindelo auf den Kap Verden
© Johannes SchedlbauerMindelo auf den Kap Verden

Nach einem längeren Landaufenthalt auf La Gomera, wo wir eine Woche lang auf einer Finca gewohnt und gearbeitet haben, segelten wir anschließend nach Sao Vicente, einer Insel der Kap Verde. Hier bekamen wir völlig neue Eindrücke: Hunderte Straßenhunde streunten durch die Stadt. Wir erlebten buntes Treiben, Lärm und Geschäftigkeit auf dem Fischmarkt, weiße Sandstrände und türkisblaues Meer.

Wanderungen auf nahegelegenen Inseln brachten uns die faszinierende Welt der Bewohner der Bergdörfer näher. Die Landschaft war von Vulkankegeln und einer Umgebung, die uns stark an eine Mondlandschaft erinnerte, gekennzeichnet. Dort bestiegen wir auch den "Pico do Fogo", der höchste Gipfel und Vulkan der Inselgruppe.

Insel Dominica
© Leonard KaiserInsel Dominica

Bald stand schon unsere erste Atlantiküberquerung bevor. Wunderschöne Sonnenuntergänge sowie Wale und Delfine, die uns teilweise stundenlang begleiteten, sind Eindrücke dieser drei Wochen auf See. Anlaufstelle unserer Atlantiküberquerung war die karibische Insel Dominica.

Dort erlebten wir den Regenwald hautnah, schnorchelten mit Schildkröten im Korallenriff, badeten in glasklaren Wasserfällen und fuhren mit kleinen Booten durch den Indian River, wo eine Szene für den Film „Fluch der Karibik“ gedreht wurde. Wir nutzten unsere Zeit in der Karibik aber auch, um ein vom Hurrikan zerstörtes Haus einer einheimischen Familie wiederaufzubauen, wofür wir bereits vor der Reise 12.000 € an Spenden gesammelt hatten.

Trotz der unglaublichen Erfahrungen und Erlebnisse an Land war es immer wieder wie ein Nachhause-Kommen, wenn wir an Bord kamen. Dann stand die nächste Atlantiküberquerung mit der Thor an, deren Ziel diesmal die Azoren waren. Auf der vierwöchigen Überfahrt lernten und erlebten wir, wie die großen Entdecker früher ohne GPS und elektronische Seekarte navigiert haben. Am Ende dieser Etappe konnten wir unser Schiff für ein paar Tage alleine mittels astronomischer Navigation zu unserem Zielort Horta auf Faial/Azoren führen.

Dass wir auf der Reise gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen und unbekannte Herausforderungen als Team zu meistern, konnten wir auch während unseres Landaufenthalts auf den Azoren zeigen: In Kleingruppen führten wir dort eine selbstgeplante Expedition durch, für die wir Schülerinnen und Schüler vom Proviant, über Route, Übernachtungen bis zu Tagesablauf alles selbst organisiert haben. Durch solche Erfahrungen und dieses Ins-kalte-Wasser-geworfen-Werden haben wir gelernt, mit ungewohnten Situationen klarzukommen und eine möglichst gute Lösung zu finden – und unsere Expedition wurde ein voller Erfolg!

Klassenzimmer unter Segeln, Jahrgang 2021/22
© Klassenzimmer unter SegelnKlassenzimmer unter Segeln, Jahrgang 2021/22

Bisher war der Gedanke an unsere Rückkehr (see-)meilenweit entfernt, doch als dann die letzte Etappe anbrach, wurde uns langsam klar, dass jetzt wohl der Weg zurück anstand. Diese letzten Wochen umgeben von nichts anderem als blau, haben wir aber noch richtig genutzt: Zum Beispiel gab es für uns Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, das Schiff einige Tage selbstständig zu führen und hierfür an Bord Positionen wie Kapitän:in, Steuerleute oder auch Proviantmeister:in zu übernehmen. Und der altbekannte Satz „man wächst mit seinen Aufgaben“ beinhaltet tatsächlich mehr Wahrheit als wir uns hätten denken können – am Anfang der Reise hätte sich wohl niemand vorstellen können, ein ganzes Schiff ohne Hilfe der Erwachsenen zu steuern. Zum einen hatten wir dafür natürlich noch zu wenig Wissen, doch wir haben über dieses halbe Jahr auch an Selbstvertrauen, Charakterstärke und Verantwortungsbewusstsein dazu gewonnen, sodass wir auch diese Aufgabe erfolgreich geschafft haben – und Spaß dabei hatten!

Am Ende dieser letzten Seeetappe warteten dann im Heimathafen Kiel unsere Familien auf uns und es war ein schönes Gefühl, sie nach sechseinhalb Monaten wieder in die Arme schließen zu können.

Zusammenfassend und abschließend können wir sagen, dass uns unsere KUS-Reise auf der Thor Heyerdahl durch Begegnungen mit zahlreichen anderen Kulturen, verantwortungsvolles Übernehmen der täglichen Aufgaben an Bord, Zusammenleben und Gemeinschaft auf engstem Raum und das Meistern schwieriger und auch anspruchsvoller Situationen auf See unglaublich geprägt hat. Durch die Reise haben wir uns selbst, unsere Stärken und Schwächen, aber auch echte Freunde fürs Leben kennengelernt, mit denen wir schon den ein oder anderen Sturm durchgestanden haben. Wir sind zutiefst dankbar für die Fülle an Erlebnissen, die wir in dieser eigentlich recht kurzen Zeitspanne von einem halben Jahr haben durften.

Übrigens: Der Ehemaligen- und Förderverein „AlumniKUS e.V.“ ermöglicht es Schülerinnen und Schülern aus ganz Deutschland durch vielseitige Unterstützung an diesem Projekt unabhängig von der finanziellen Lage teilzunehmen. 

Sophia

Sophia

Johannes

Johannes

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