Eine Spurensuche zum AntisemitismusVerwehrte Steine: Ihr seid nicht vergessen

Im Jahr 2023, 78 Jahre nach dem Ende des „Holocaust“, verstummen zunehmend die Stimmen der Zeitzeugen, die noch aus erster Hand über den Völkermord der Nationalsozialisten an den Jüdinnen und Juden im Dritten Reich berichten können. Neue Wege müssen gefunden und beschritten werden, um junge Menschen im Jetzt und in der Zukunft „gegen das Vergessen“ zu sensibilisieren.

Instagram-Kanal @verwehrte_steine
Der Feed des Instagram-Kanals im Überblick

Einen neuen Ansatz des Erinnerns und „Mahnens“ beschritten wir Schülerinnen und Schüler der Ethik 10 am Gymnasium Feuchtwangen unter der Leitung unserer Lehrerin Dr. Barbara Haas im Schuljahr 2021/22 mit unserem Instagram-Projekt @verwehrte_steine:

Hierbei ging es um den jüdischen Friedhof in Schopfloch (Mittelfranken), dessen in 1.740 Grabsteine gemeißelte Namen, Biographien und Gebete das einst rege Leben der jüdischen Dorfbevölkerung Schopflochs in den Jahren 1559 bis 1938 dokumentieren. Die letzte vollständige Beisetzung mit Grabstein erfolgte hier im Februar 1937.1  Ohne Grabstein wurden 1938 die beiden Jüdinnen Fanni Benjamin (* 23.08.1888, +25.08.1938) und Paula Jordan (*15.02.1916, +27.02.1938) zur letzten Ruhe gebettet.Dabei handelte es sich um die überhaupt letzten beiden Bestattungen auf diesem Friedhof.

1: Adolf Eppstein aus Feuchtwangen, (*23.09.1863, +13.02.1937), Grabstein-ID 0003, Reihe 01.
2: Im November 2008 initiierte die Sozialpädagogin Angelika Brosig (1956-2013), dass für Fanni Benjamin  und Paula Jordan nachträglich zwei Grabplatten aufgestellt wurden.

Das Hauptanliegen unseres Instagram-Projektes war, nachzuforschen und die Gründe zu benennen, die dazu führten, dass 60 jüdische Schopflocher im Nazideutschland in den zahlreichen Konzentrationslagern und Ghettos ermordet wurden und ihnen dadurch ihre Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Schopfloch „verwehrt“ wurden:

In 36 Feed-Beiträgen und fünf Story-Highlights des Accounts @verwehrte_steine, die wir u.a. auf dem jüdischem Friedhof in Schopfloch an den jeweiligen Grabsteinen der Vorfahren drehten, berichteten wir über jedes einzelne Schopflocher Holocaustopfer und die Umstände ihrer Ermordung durch das NS-Regime.

In einem fünfteiligen Lernvideo (YouTube) spürten wir die nahezu „3800-jährige Geschichte des Antisemitismus“ nach:

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In Interviews mit Hans-Reiner Hofmann, dem ehemaligen 1. Bürgermeister Schopflochs und Oswald Czech, dem derzeitigen 1. Bürgermeister, informierten wir uns über die Geheimsprache der Schopflocher Jüdinnen und Juden, dem „Lachoudisch“, über die ehemaligen Wohnhäuser der Schopflocher Jüdinnen und Juden und auch darüber, was derzeit getan wird, damit jene ehemalige jüdischen Schopflocher Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht dem Vergessen preisgegeben werden.

Ein aus dem Instagram-Projekt hervorgegangenes weiteres wichtiges Ziel von uns war, uns dafür einzusetzen, dass ein Gedenkstein in Schopfloch zukünftig an die ehemaligen 60 jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erinnert: Der allererste Feed-Beitrag dokumentiert die an Oswald Czech gerichtete und vorgetragene Petition „Ihr seid nicht vergessen!“ der Ethik 10 zu Beginn des Schuljahres 2022/23.

Das Instagram-Projekt @verwehrte_steine wurde am 27. Januar 2023 mit dem 1. Preis des im zweijährigen Turnus bundesweit stattfindenden denkt@g-Wettbewerbs 2022/23 der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin gewürdigt:

„Die Jury zeigt sich sehr ergriffen von dem großen Engagement, der berührenden, emotional bewegenden und überzeugenden Vortragsweise, der differenzierten Herangehensweise und dem Einsatz unterschiedlichster Stilmittel. Somit würdigen wir diesen Beitrag „verwehrte_steine“ gerne mit dem 1. Platz beim denkt@g-Wettbewerb 2022. Honoriert wird dieser Sieg mit sehr sehr verdienten 3.000 €.“
 

Das Preisgeld wurde nun dazu verwendet unsere Publikation „Verwehrte Grabsteine – Für ein würdiges Gedenken an die jüdischen Holocaustopfer von Schopfloch“ anzugehen, um auch auf dem Weg des geschriebenen Wortes, dem Vergessen entgegenzuwirken.

Hierzu wurden die in dem Buch aufgenommenen Instagram-Feed-Beiträge der namentlich genannten Ethikschülerinnen und -schüler als Ausgangspunkt herangezogen, um diese mit weiteren Daten, Fakten und Quellen über die Schopflocher Holocaustopfer zu vertiefen und umfassend zu ergänzen: Neben einem historischen Rückblick über die Schopflocher Jüdinnen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus, befasst sich der Hauptteil des Buches ausführlich mit jedem einzelnen Schopflocher Holocaustopfer und dessen „Via Dolorosa“ in den Jahren 1933-1945.

Für den Hauptteil der Publikation ergeben sich demnach folgende Unterteilungen:

Holocaustopfer
- davon 43 in Schopfloch geboren
- bzw. 17 nach Schopfloch zugezogen
Emigranten / Überlebende
 - insgesamt 22 gebürtige Schopflocher, die mit ihren Familien in die USA, Argentinien, Australien oder Palästina emigrieren konnten.
gescheiterte Emigrationsversuche
- von 6 gebürtigen Schopflocher Holocaustopfern, die trotz ihrer zunächst gelungenen Emigrationen mit ihren Familien doch noch Opfer der Nazischergen wurden.

Die Suche nach den Lebens- und Sterbedaten zu den aus Schopfloch stammenden und in die USA emigrierten Familienangehörigen der Familie Ansbacher führte zu der in New Jersey (USA) lebenden 95-jährigen Zeitzeugin Sigrid Strauss geb. Ansbacher (*02.04.1928), die neben einem Aufenthalt im Ghetto fünf Jahre Konzentrationslager und einen Todesmarsch überlebt hat. Am 14. Januar 2023 gab sie uns ein Online-Interview, welches ebenfalls in unser Buch mit aufgenommen wurde.

Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof Schopfloch
© Barbara HaasIm Rahmen eines Festakts wurden die Namen aller 60 jüdischen Holocaustopfer vorgelesen und symbolisch jeweils ein Steinchen auf den Gedenkstein gelegt. Rabbiner Eliezer Chitrik sprach das Schlussgebet.

Die mit dieser Veröffentlichung vorliegenden aktuellen Daten und Fakten zu jedem einzelnen jüdischen Holocaustopfer aus Schopfloch dienen nun als Vorlage für den Gedenkstein, welcher im Juli 2023 offiziell vor dem jüdischen Friedhof in Schopfloch eingeweiht wurde. Die in den Stein eingemeißelten Namen entziehen sie der seitherigen Anonymität.

Ihre Nachfahren können sie nun endlich „auffinden“, die eingravierten Namen ihrer Vorfahren berühren, mit kleinen Steinen bestücken und ihnen so in stiller Anteilnahme und Ehrerbietung gedenken.

Anhand der hier vorliegenden Fakten können sich kommende Generationen, auch an Schulen, mit diesem Unrecht an den ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus Schopfloch befassen und hierdurch mahnend begreifen, dass sich ein jeder von ihnen und von uns sich persönlich dafür einsetzen kann und muss, dass so etwas nie wieder geschieht.

Die Ethik-Klasse 10 und Q11 des Gymnasiums Feuchtwangen

Die Ethik-Klasse 10 und Q11 des Gymnasiums Feuchtwangen

Das große Engagement der Schülerinnen und Schüler reicht vom Instagram-Projekt über Buchbeiträge, Vorträge, Pressegespräche, die Gedenkstein-Petition bis zur Organisation des Festakts.

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