Erinnerungsarbeit und politische BildungDie Reichspogromnacht in Straubing und die Folgen für ihre Täter

Der 9. November – ein „Schicksalstag der Deutschen“

9. November 1848: Scheitern der Märzrevolution

Am 9. November 1848 scheitert mit der Hinrichtung des Anführers der gemäßigten Linken, Robert Blum, die Märzrevolution und somit das Streben nach einer deutschen Demokratie.

9. November 1918: Novemberrevolution

Am 9. November 1918 ruft Philipp Scheidemann, Mitglied des Parteivorstands der SPD, nach dem Ende des 1. Weltkriegs die Deutsche Republik aus.

9. November 1923: Hitler-Putsch

Am 9. November 1923 scheitert der „Hitler-Putsch“. Die größte Gefahr für die junge deutsche Demokratie scheint gebannt.

9. November 1938: Reichspogromnacht

Am 9. November 1938, fünf Jahre nach der „Machtergreifung“, kommt es zum bisher größten Verbrechen gegen die Jüdinnen und Juden auf deutschem Boden. In der Reichspogromnacht werden Jüdinnen und Juden ermordet, ihre Geschäfte geplündert und Synagogen geschändet.

9. November 1989: Fall der Berliner Mauer

Am 9. November 1989 fällt nach Jahrzehnten der Teilung die Berliner Mauer. Deutschland ist wiedervereint.

Der 9. November wird also nicht ohne Grund als der „Schicksalstag der Deutschen“ bezeichnet. Kein anderes Datum steht so sehr für die Ambivalenz und die Höhen und Tiefen unserer Geschichte. Deshalb ist es auch besonders lohnenswert und interessant, sich mit diesen Ereignissen gerade auf lokaler Ebene genauer auseinanderzusetzen. Denn während beispielsweise über die Geschehnisse der Reichspogromnacht in großen Städten wie München oder Hamburg sehr viel bekannt ist, zeichnet sich in kleineren Städten, so auch in meiner Heimatstadt Straubing, ein anderes Bild ab. Nachgeforscht wurde wenig, eine wirkliche Aufarbeitung fand kaum statt.

So stand dann auch schnell das Thema meiner W-Seminar-Arbeit fest, für die ich am 3. Juli 2023 im Maximilianeum von der Landtagspräsidentin Ilse Aigner mit dem 1. Landespreis im Wettbewerb „Erinnerungszeichen“ ausgezeichnet wurde.

Bild: Konstantin Brielbeck steht neben Landtagspräsidentin Ilse Aigner und der Schulleiterin des Anton-Bruckner-Gymnasiums Straubing, Dr. Eva Huller.
© Matthias BalkBei der Verleihung des Landespreises des Wettbewerbs „Erinnerungszeichen“: Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Konstantin Brielbeck und die Schulleiterin des Anton-Bruckner-Gymnasiums Straubing, Dr. Eva Huller. (v. l. n. r.)

Meine W-Seminar-Arbeit: „Die Reichspogromnacht in Straubing und die Folgen für ihre Täter“

Mit meiner Arbeit wollte ich Geschichte durch lokale Nähe, aber auch die direkte Darstellung der Abläufe greifbar machen und aufzeigen, dass die Geschehnisse vom 9. November 1938 eben nicht an fernen Orten und von anonymen Tätern ausgeführt geschahen, sondern unmittelbarer Teil unserer Heimat sind.

Das Augenmerk meiner Arbeit lag dabei auf zweierlei: Einerseits auf dem allgemeinen Aufzeigen des Hergangs, des Verlaufs und der Folgen der Reichspogromnacht in Straubing. Andererseits auf der Darstellung der Person Franz Leichtle und seines Weges zum Täter. Es wurden spezifisch die Motive dargelegt, die eine „ganz normale“ Person zur Teilnahme an den Ausschreitungen der Reichspogromnacht und dem Nationalsozialismus brachten.

Doch bevor es überhaupt dazu kommen konnte, musste ich mit meinen Recherchen beginnen, die von September 2021 bis Oktober 2022 andauern sollten. Im Verlauf dieser Zeit sprach ich mit Lokalhistorikern, unserer Stadtarchivarin, besuchte die Universitätsbibliothek Regensburg und stieß auf die Spruchkammerakten eines Täters im Staatsarchiv München. Jene Akten sollten dann auch das Fundament meiner Arbeit bilden.

War das Urteil über Franz Leichtle wirklich gerecht? Welche der zahlreichen Zeugenaussagen entsprechen der Wahrheit und welche nicht? Konnte die zeitlich, finanziell und personell aufwändigen Spruchkammerverfahren ihren Zweck überhaupt erfüllen? Auch wenn diese Fragen zum Abschluss meiner Arbeit noch offen waren, eines ist jedoch sicher:

Die Täterinnen und Täter, insbesondere Franz Leichtle, waren keine „klassischen“ menschenverachtenden Verbrecherinnen oder Verbrecher mit einer schwierigen Kindheit oder psychischen Störungen als offensichtliche Auslöser ihrer Handlungen. Sie waren ganz „normale“, in das Stadtleben integrierte Bürgerinnen und Bürger ohne besondere Auffälligkeiten, die in der Reichspogromnacht schreckliche Missetaten verübten und danach weitgehend unbeschwert zu ihren alten Leben zurückkehrten. Gerade diese „Banalität des Bösen“ ist dabei erschreckend sowie besorgniserregend.

Diese Geschichten zu erforschen ist deswegen nicht nur interessant und offensichtlich lohnenswert, sondern ein existenzieller Bestandteil der Aufarbeitung unserer Vergangenheit. Denn, wie es Altkanzler Kohl schon treffend formulierte:

Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.

Helmut Kohl

Konstantin Brielbeck

Konstantin Brielbeck

Konstantin Brielbeck hat im Juni 2023 sein Abitur am Anton-Bruckner-Gymnasium in Straubing gemacht. Aktuell leistet er seinen „Freiwilligen Wehrdienst“ und wird voraussichtlich anschließend Jura studieren.

Hinweis: Eine etwaige Verwendung der W-Seminararbeit muss gekennzeichnet werden.

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